Blutspuren auf der Baustelle

Nach einem Jahr ist es nun leider doch passiert und wir machen die ersten Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem. So interessant das ist, es wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Aber der gusseiserne Ablauf wollte in diesem Fall anders als ich. Nun heisst es Geduld üben, abwarten und andere machen lassen. Also genau mein Ding.
Es war ein Montag wie schon viele andere davor, nichts deutete darauf hin, dass dieser Montag nicht wie geplant enden würde. Wir freuten uns auf einen spontanen Besuch aus der Schweiz und haben uns am Nachmittag den verschiedenen kleinen Aufgaben auf unserer Baustelle gewidmet. Unter Anderem ein altes Gusseisenrohr. Die ersten Meter im Obergeschoss waren fix mit der Trennscheibe verkleinert und wegetragen, Die letzten drei Meter im Erdgeschoss habe ich ebenfalls sorgfältig zersägt und nun mussten diese nur noch auf den Boden gelegt werden. Die clevere Idee diesen auf der Rundung des Brecheisen langsam umzulegen war überzeugend und ohne Anstrengung möglich. Siegessicher war die Hälfte bereits erledigt, als ein Schatten neben mir vorbei ging. Ein Knall folgte und irgend etwas war mit meiner linken Hand anders. Irritiert schaute ich auf meine Hand und wusste dieser eine Finger gehört nicht mehr zu mir. Schnell mit einem Handtuch die Hand verbunden und auf dem schnellsten Weg in Spital. Aber wo ist das? Die Vårdcentral in Ekshärad hat Sommerpause, also ab nach Hagfors. Die Krankenschwester im Empfangsbereich meinen Finger gezeigt, Sie war etwas mehr geschockt als ich und verwies uns an die Notaufnahme in Torsby.
Also ab nach Torsby….
Priska gab alles und fuhr so schnell es ging und versuchte mich dabei auch noch zu unterhalten. Irgendwann realisierte ich, was passiert sein muss. Das Rohr war im oberen Drittel auseinander gebrochen und ein Teil muss meine Hand erwischt haben. Also mal schauen Daumen funktioniert. Der Zeigefinger hängt etwas betrübt an der Hand und ich weiss der gehört nicht mehr mir. Der Mittelfinger bewegt sich und schmerzt ein wenig. Der Ringfinger und der kleine Finger, hei supi we immer. Auch die Hand scheint soweit ganz in Ordnung. Ich hadere und bin trotzdem dankbar und realisiere was wenige Centimeter für einen Unterschied machen können.
In Torsby angekommen klingle ich am Eingang und am Empfang wird sofort ein Behandlungsraum frei gemacht. Eine ältere Dame musste den Platz räumen und sich etwas länger Gedulden. Ich hätte auch gewartet….. Aber das wäre wohl eine schlechte Idee. Werte Dame ich hoffe Sie haben Verständnis für mein Vordrängeln und bitte Sie um Entschuldigung. Komisch was für Bilder im Kopf hängen bleiben…..
Die Krankenschwestern kümmern sich um mich und schnell ist der Notfallchirurg aufgeboten und er war in wenigen Minuten da. Also ich dachte ja es sei ein Techniker, von einem Arzt wurde ich bisher noch nie in T-Shirts und Shorts behandelt. Aber seine professionale Beurteilung war nicht falsch zu interpretieren. Im Zeigefinger, Blutgefässe, Nerven und Sehnen abgerissen, Knochen durchgebrochen, Mittelfinger leicht beeinträchtigt. Vor der Verlegung in die Handchirurgie muss die Blutzirkulation erst gesichert werden, also wird der Finger mit 24 Stichen zurechtgeflickt. Nach längerer Wartezeit ist die Hand fachgerecht versorgt und der Chirurg wird sich am Dienstag bei mir melden, damit der Knochen gerichtet und fixiert werden kann. Etwas ungläubig verlassen wir die Notaufnahme und fahren nach Hause….



Nur gut kennen wir inzwischen die Schweden, schlechte Nachrichten werde in Watte verpackt und an die nächsthöhere Instanz delegiert.
Am Dienstagmorgen ein kurzer Anruf des Chirurgen. Ich soll doch vor dem Mittagessen so zwischen 11:30 und 12:00 vorbeikommen. Ich wisse ja, die Verletzungen im Finger sei sehr schwerwiegend und alles kommt darauf an, ob die Blutzirkulation wieder funktioniert. Aber auch dann stelle sich die Frage ob ein unkontrollierbarer Finger besser sei als eine Lücke in der Hand. Aha, also nichts von kurz Knochen richten und neu vernähen. Ich betrachte so meinen Finger und mein erster Gedanke bestätigt sich: „Der gehört nicht mehr zu mir.“
Ein Blick des Chirurgen auf den Finger reicht: „ich bedaure der ist nicht zu retten. Warten Sie kurz damit wir den OP-Termin noch fixieren können“. das kommt vielleicht nicht sehr einfühlend rüber, das war es aber sehr wohl und für mich hat er genau den richten Ton inklusiver der notwendigen Klarheit getroffen. So rückte ich als am Mittwoch um 08:00 ein um das wenige Gewebe, das den Finger noch an der Hand hielt zu entfernen und sauber zu vernähen.
Der OP war blitzt Blank und alles schien wie gerade eben ausgepackt. Die Narkose wirkte schnell und als ich aufwachte, wurde ich freundlich gefragt ob ich Kaffee und ein Sandwiche möchte. Was für ein Start in den Tag. Ich hatte keine Scherzen, ein warmer Kaffee ist unterwegs und der am Montag verabschiedete Zeigefinger ist endlich weg. Stimmt da war ja was. Der Finger ist weg. Aber komischerweise fühlt sich das gut an. Das tote Ding an meiner Hand ist weg, zögernd schaue ich mir den Verband an. Ja da fehlt etwas, da habe ich nun halt „Mut zur Lücke“. Rund drei Stunden nach dem Aufwachen und nach den zweiten Nachfragen des Chirurgen nach Schmerzen, konnte ich das Spital verlassen. Der ratlose Blick und das Kopfschütteln des Arztes, auf mein „nein, keine Schmerzen alles gut.“, konnte ich nicht interpretieren. Aber auch eine Woche später scheint mein Körper das schmerzempfinden zu Dämpfen und alles ist erträglich. Ausser ich muss mich in Geduld üben, abwarten und andere machen lassen.
Eine Erfahrung die niemand machen will und doch so viel Positives in sich hat. Meine Frau ist ein Goldstück und es ist ein unglaubliches Glück diesen Mensch an meiner Seite habe zu dürfen. Aber auch unsere Kinder und die ganze Familie trägt uns durch diese Zeit.
Alle Ärzte und Pflegende waren mega freundlich und aus meiner Sicht hochprofessionell. Danke dafür
Und danke euch allen für die Anteilahme und den guten Wünschen. Wir freuen uns, euch bald einmal wieder zu treffen.
